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Fernseh-Kinderstunde in den 1960er Jahren

Text: Jörg Bohn / VG Wort Wissenschaft - Erstveröffentlichung im Sammlermagazin TRÖDLER 07/2007. Die Nutzung von von Fotos und Texten  zu kommerziellen Zwecken bedarf  - auch auszugsweise - der ausdrücklichen Genehmigung. Nutzung für private Seiten ist unter Angabe der Quelle: www.wirtschaftswundermuseum.de erlaubt.

 

Gesellschaftsspiele, Hörspielproduktionen und Bücher zu bekannten oder auch längst vergessenen Fernsehsendungen dokumentieren auf ebenso anschauliche wie unterhaltsame Art und Weise die Entwicklung des Kinderprogramms im Deutschen Fernsehen.

"Komm, Mutti - Fernsehen", Elektrogeräte-Prospekt

 

Als der Nordwestdeutsche Rundfunk am 1.Weihnachtsfeiertag des Jahres 1952  mit der Ausstrahlung eines regelmäßigen Fernsehprogramms beginnt, sind nicht wenige Zeitgenossen der festen Überzeugung, dass Kinder grundsätzlich von diesem neuen Medium fernzuhalten seien. Sie befürchten, dass der „Kinderfänger Fernsehen“ den Kindern Zeit für sinnvollere Aktivitäten wie Lesen und Spielen raubt und darüber hinaus „die Bereitschaft, sich ablenken zu lassen“ in bedenklichem Maße erhöht. Die Fachzeitschrift „Ärztliche Stimme zum Fernsehen“ warnt gar vor möglichen bedrohlichen Gesundheitsschäden wie Fernsehepilepsie, Strahlen- und Augenschäden sowie sich durch Bewegungsmangel bildende „Fernsehbeine“.

 

"Schauen, reisen und erleben", "Fernseh-Quartett"

Allen Vorbehalten zum Trotz jedoch ist die „Kinderstunde“ von Beginn an fester Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Sendeplans. Gestaltet wird sie von der Psychologin Dr. Ilse Obrig, die bereits seit vielen Jahren eine entsprechende Kindersendung für den Rundfunk moderierte, deren bewährte Konzeption nun für das Fernsehformat aufbereitet wird. Angekündigt durch das Schlagen einer Kuckucksuhr „kommt eine Handvoll artiger, aber fröhlicher Kinder“ in einem Raum zusammen, „um munteren kleinen Spielen zu obliegen und allerlei Geschichten zu hören“ erinnert sich Melchior Schedler in seinem Buch Kinderfernsehen anders, „die Kinder wurden ständig zu etwas ermuntert, aufgefordert, zu etwas hinbefohlen: Mach Wägelchen aus Nussschalen! Sing deinen Eltern ein Volkslied vor! Sei fröhlich und bescheiden allerwege! Übe Dich im Ziehen von geraden Strichen! Ehre das Alter, schnitze Kartoffelmännchen, sprich hochdeutsch, lach über die Scherze der Großen, sei nicht untätig, falte in deiner freien Zeit, bastle in deiner freien Zeit, mach Scherenschnitte in deiner freien Zeit…Dass Kinder untätig sein könnten, muss der stete Angsttraum der Kinderfernsehmacher jener Jahre gewesen sein.“  Bald ziehen andere Sender mit ähnlichen Produktionen und eigenen Moderatoren und Moderatorinnen nach, sodass ein Kritiker bereits vor „einer Zersplitterung der Zuschauerkonzentration auf mehrere Tanten“ warnt, doch die Sendung mit Ilse Obrig ist und bleibt noch lange Zeit das Maß der Dinge. „Spontaneität, Lebendigkeit, Fröhlichkeit, eine leichte Hand im Umgang mit den Kindern, dennoch auch ein pädagogischer Unterton“ fasst der Fernsehwissenschaftler Knut Hicketier Ilse Obrigs hervorstechende Eigenschaften zusammen, „es war wohl auch ihre Erscheinungsweise, die sie für das Kinderfernsehen besonders prädestinierte: sie war keine betuliche Fernsehmama, sondern...wirkte eher wie eine große Schwester“. Unterstützt wurde sie von verschiedenen Kindergruppen wie den singenden „Zwitscherlingen“, „Sonntagskindern“ und „Funkspatzen“  oder auch den „Tanzkindern“. Ihre durch die Bildschirmpräsenz gewonnene Popularität vermarktet Obrig mit Büchern wie „Überall ist Kinderland“ oder „Fröhlich durch das ganze Jahr“,

                

"Fernsehen - Illustrierte Monatshefte für Fernseh-Freunde", Titel: Ilse Obrig (1953)

 

Ilse Obrig - "Fröhlich durch das ganze Jahr"

 

 in denen sie „Kinderspiele aus aller Welt“ vorstellt oder ihre jungen Leser anleitet, ein Theater aus einem Schuhkarton zu basteln. „Beim Lesen von Ilse Obrigs Büchern wird sich die Freundschaft der Kinder, die „ihre Ilse“ schon durch das Fernsehen und den Hörfunk lieben, noch vertiefen“, verspricht hierzu der Verlagstext. Heute sind diese Bücher mit Beiträgen wie „Purzelbäume und andere Späße“ oder „Spielzeug aus Walnussschalen“ bestens geeignet, dem Leser das Kinderleben in der Wirtschaftswunderzeit näher zu bringen.

 

               

"Funkberater-Illustrierte für Rundfunk-, Fernseh- und Musik-Genießer" (1958)

 

Privatfoto, Sammlung Wirtschaftswundermuseum

 

Nordmende - "Rundfunkgeräte Konzertschränke Fernsehempfänger", Prospekt (1958)

 

 

Über den Bildschirm flimmerten zur Kinderstunde in der Folge so unterschiedliche Beiträge wie beispielsweise eine Darstellung der„Biblischen Geschichte in Scherenschnitten“, das „Fernseh – Bilderbuch vom Teddy Teddybär“, Geschichten mit „Latschi und Lumpi“ oder dem „Auto Karoline“ und über viele Jahre auch das legendäre Kinderturnen „Zehn Minuten mit Adalbert Dickhut.

 

                      
     

 

Weil das Kinderfernsehen der Anfangsjahre sich mit einem Bruchteil des für die Gestaltung des Abendprogramms zur Verfügung stehenden Etats begnügen muss, erfreuen sich dank geringer Entstehungskosten insbesondere Puppenspiele in jeglicher Form großer Beliebtheit bei den Programmmachern. Wolfgang Buresch, seinerzeit Mitglied der häufig auf der Mattscheibe präsenten Hohnsteiner Puppenspiele und später Leiter der Abteilung „Kinder und Familie“ des NDR, schildert die Gegebenheiten so: „Die Tagesgagen von Puppenspielern im Fernsehen waren nie vergleichbar mit denen von etwas bekannteren Schauspielern…und da viele zudem in Personalunion Autoren waren und ihre Stücke selbst schrieben, erhielten sie auch noch viel geringere Honorare für die Drehbücher als Fernsehdrehbuchautoren.“ Auch die Drehkosten selbst waren vergleichsweise niedrig. Weil die Magnetaufzeichnung (MAZ) zu Beginn der 50er Jahre noch nicht erfunden war, mussten aufwändigere Produktionen auf teurem 16mm-Film aufgenommen werden. Um dies zu umgehen, wurden die meisten Sendungen in den Studios live aufgenommen und zeitgleich ausgestrahlt. Besonders prädestiniert für solche Aufgaben waren Puppenspieler, die in der Regel auf eine langjährige Bühnenerfahrung zurückblicken konnten und ihre Stücke daher routiniert und ohne aufwendige Proben abspulten. Folglich finden sich in den damaligen Programmzeitschriften etliche Hinweise auf Stücke wie „Kasperle ist wieder da“, „Professor Witzli-Putzli bei den Menschenfressern“, Kasperle fängt den Bauernschreck“ oder „Der Polizeikasper kommt“. Mit dem Stück „Peter und der Wolf“ erscheint auch erstmals die Marionettenbühne Walter Oehmichen auf der Bildfläche, die bald darauf als „Augsburger Puppenkiste“ zum Synonym schlechthin für das Marionettentheater werden sollte.

         

Augsburger Puppenkiste "3 Fernseh Puzzles"

 

Augsburger Puppenkiste "3 Fernseh Puzzles"

 

Wenig später folgt mit der „Muminfamilie“ ihr erster Mehrteiler, dem noch viele weitere folgen sollten. Die Puppenkiste ist mit ihren Inszenierungen bis heute auf den Bildschirmen präsent und begleitet seit nunmehr über einem halben Jahrhundert Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Ob „Kater Mikesch“, „Der Löwe ist los“, „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ oder „Urmel aus dem Eis“ - kaum ein Kind, welches nicht seine ganz speziellen Erinnerungen an sein bestimmtes Stück der Augsburger Puppenkiste besitzt.

 

                  
"Kater Mikesch", Puzzle-Vorlage  

"Kakadu in Nöten", Hörspiel-LP mit Pop-Up Klappcover

 

"Kommt ein Löwe geflogen", Hörspiel-LP

 

Ende der 50er Jahre nimmt dann eine Gesetzesänderung Einfluss auf die Gestaltung des Kinderprogramms. Nachdem für Kinder unter sechs Jahren „aus Gründen des Jugendschutzes“ Kinobesuche gesetzlich verboten worden waren, beschloss 1958 die Ständige Programmkonferenz der ARD, für diese Altersgruppe auch keine Fernsehprogramme mehr anzubieten. Diese Entscheidung stand ganz im Zeichen der „Bewahrpädagogik“, die darauf abzielt, Kinder vor schädlichen und manipulierenden Einflüssen zu schützen, indem man sie ihnen einfach vorenthält. Dafür, dass diese Altersgruppe in der Folge natürlich dennoch vor den Fernsehgeräten zu finden war, konnten die Eltern verantwortlich gemacht werden - und die Fernsehverantwortlichen ihre Hände in Unschuld waschen.

 

                   

"Nordmende - immer richtig für jung und alt" (1956)

 

Nordmende - Werbefoto (1964)

 

                                         
  "Telefunken Standgerät FE 251 St mit verschließbaren Jalousietüren, wie im Foto angedeutet." (1961)   Graetz Radio Fernsehen - ""Rotes Licht" für "Schwarzseher" - Und wenn Peter noch so böse ist: der "Progamat S" bleibt zu! Weil Mutti abgeschlossen hat: "Krimis sind nichts für Dich, lies lieber ein Buch!" Punktum! Und Mutti hat recht. Nicht alles ist für Kinderaugen bestimmt. Deshalb sind viele Graetz-Fernsehgeräte abschließbar." (1966)
   

 

Für die etwas Älteren hingegen sollte nach den Erkenntnissen einer Untersuchung das Programm unterhaltsamer werden: „Im deutschen Fernsehen herrscht das Bestreben vor, Kinder mit Hilfe eines Programms zu bilden, zu belehren und zu beeinflussen. Zu kurz kommen dabei leichte und unbeschwerte Unterhaltsprogramme…Leichtigkeit muss ja nicht unbedingt schädlich sein.“ Erfüllt wurde dieser Anspruch unter anderem mit dem Ankauf amerikanischer Produktionen, als deren erste die Wild-West-Serie Rin Tin Tin auf den Bildschirmen auftauchte. Erzählt wurden darin die Erlebnisse des Jungen Rusty, der bei einem Indianerüberfall seine Eltern verliert, fortan unter der Obhut von Leutnant Rip Masters in einem Kavallerie-Fort aufwächst und dort mit seinem Schäferhund Rin Tin Tin für die Sache der Gerechtigkeit eintritt. Ebenfalls um ein Waisenkind handelt es sich bei Corky, der in einem Wanderzirkus für die Pflege des Elefantenbabys Bimbo verantwortlich ist und ansonsten Folge für Folge die genreüblichen Abenteuer erlebt.Ist diese Serie mittlerweile auch in Vergessenheit geraten, erlangte Corky - Darsteller Mickey Braddock immerhin später unter dem Namen Mickey Dolenz weltweite Bekanntheit als Mitglied der Popgruppe The Monkees.

 

 

 

                                       
"Roberts Hobby - sein Fernsehgerät" - "Ein Blick in die Zauberwerkstatt der Technik", Jugendbuch "Für Jungen ab 12 Jahren"   BLAUPUNKT Toskana - "Der Präzisions-Fernseher"     "Grundig Revue - 1959/60"

 


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